Ein Trip mit dem „White Head“ Motorradverein Senden
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Ich sag's dir, nach zwei Stunden schläft dir der Arsch ein ...“
Zitat: H. Störmer (Vereinsvorsitzender)

... bekam ich von Horst zu hören bezüglich meiner ersten Motorradfahrt und zwar als sein auserwählter Beifahrer und „Reporter“ nach „Piove die Sacco“ nahe bei Venedig.

Piove di Sacco ist die Partnerschaftsstadt von Senden. Der Sendener „White Head“ Verein war eingeladen bei einem Biker-Treffen, veranstaltet von dem Partnerclub „Moto Club Piovese“, teilzunehmen. Und Partnerschaft will gepflegt werden, ansonsten zerfällt sie. Wie sich bei der fünftägigen Tour herausstellen sollte, ist das Wort Partnerschaft eine landesgrenzensprengende Freundschaft. Ich war mit Recht stolz an dieser außergewöhnlichen Begegnung teilnehmen zu dürfen und glücklich von diesen Motorradfreunden so herzlich in ihre Gemeinde integriert zu werden. Dass allein die Fahrt ein so ungewöhnliches Erlebnis werden würde kam mit nicht in den Sinn. Dies zeigte sich schon auf dem Weg durchs Allgäu, nachdem sich sieben motorisierte Recken und ein Versorgungsauto, besetzt mit drei Mann, am Freitag den 22. März um zehn Uhr Sendener Ortszeit auf den beschwerlichen Weg machten. Wie sich herausstellen sollte, war die sechshundertsechzig Kilometer lange Strecke nicht ganz ohne.

Im Allgäu streikte schon ein Motorrad. Der Fahrer war gezwungen ins Versorgungsauto umzusteigen. Was jetzt folgte ließ mich als Motorrad-Laie einen kurzen Blick auf eine für mich neue Welt erhaschen. Und ein Funken dieser Motorradliebe, die alle verband, sprang auf mich über. Selbst die feuchtkalte Witterung in den österreichischen Alpen vermochte diesen Funken nicht zu löschen. Im Gegenteil: Sie heizte ihn an. Der ständige Kampf gegen die Elemente in Verbindung mit einer, von PKW's und LKW's befahrenen Straße, das Ziel immer fest im Auge und als einziges Hilfsmittel – Zwei Reifen und ein Motor – ließ ein Gefühl des Pioniergeistes in mir aufkommen.

Um dieses zu verdeutlichen: Du sitzt nicht im Wohnzimmer und liest Zeitung, sondern auf dem Motorrad als Beifahrer. Dein Schicksal liegt in den Händen des Fahrers (in meinem Falle Horst). Auf einer Landstraße im bergigen Österreich läuft dir das Helmvisier an während dein Fahrer geschickt durch ein Meer von Mit- und Gegenverkehr taucht. Es beginnt zu regnen. Der Fahrtwind treibt 120 Kilometer schnelle Tropfen gegen den Helm. Jetzt ist die Sicht gleich Null. Noch im Windschatten eines LKW's spürst du wie die Vibrationen des Motors schlagartig zunehmen und dein Körper erbebt. Den Bruchteil einer Sekunde später erfasst dich die magische Wirkung der Fliehkräfte denen man als einziges das Umklammern des Fahrers entgegen setzen kann. Die Windverhältnisse beim Verlassen des Windschattens ähneln der Fahrt in einem Orkan. Die Phase des eigentlichen Überholmanövers mit beschlagenem Visier sprengt die visuelle Reizaufnahmefähigkeit und ist vergleichbar mit einem Tauchgang in einem Korallenriff. Das rechte Sichtfeld ist nun von einem ruhig vorbeiziehenden „LKW-Pottwal“ ausgefüllt, das mit dem linken, nämlich dem Gegenverkehr konstrastiert. Verschwommene Scheinwerfer schießen mit torpedaler Geschwindigkeit auf dich zu, dass du denkst: Gleich berührt mich einer. In dem Gedanken wird dir klar, dass diese Berührung eine Verschmelzung von lebendem Organismus und verschchromtem Stahl zur Folge hätte. Eine ziemlich unversträgliche Verbindung.

Nach Beendigung des Überholmanövers folgt eine von Regen glänzende Rechtskurve. Die Maschine beginnt sich in Schräglage zu neigen. Der „Rooki“ könnte sich nun instinktiv fragen: Wo befindet sich der Punkt in dem die Fliehkräfte überhand über die Haft- bzw. Anziehungskräfte gewinnen? Falls die Fliehkräfte das Rennen machen ergibt sich ein prinzipiell unwichtiges jedoch interessantes Gedankenspielchen: Welches der lustigen G-Wörter erwischt mich? Gegenverkehr oder Gähnender-Abgrund? Die Konzentration auf die Fahrt und das Vertrauen in den Fahrer sind die einzige Möglichkeit diesen anfänglichen Unsicherheiten Herr zu werden.

Die Strapazen der Passstraßen sollten mit dem Brenner, verbunden mit einem heftigen Schneetreiben, ein Ende finden. Einer Belohnung gleich und in dem Bewusstsein die Feuertaufe überstanden zu haben, tauchst du nun in das sanfte Mittelmeerklima ein, begleitet von der Sonne und einer Temperatur von der du in Ulm zu dieser Jahreszeit nur träumen kannst. Die „Erlösung“ hatte nur einen Haken. Horst's anfänglich belächeltesZitat kommt dir in den Sinn: Dein Hintern hatte sich unbemerkt unter der harten Fahrt aus dem Staub gemacht und sich mit Hilfe der Schwingungen des Motors in einen narkoseähnlichen Tiefschlaf gewiegt. Das Kribbeln ließ sich zum Glück an der nächsten Tankstelle durch fleißiges rum marschieren abschütteln.

Nach der achten Stunde und einer schönen Fahrt durch die Po-Ebene begrüßte uns das Ortsschild „Piove die Sacco“ mit dem Zusatz „Partnerschaftsstadt Senden“. Kurz umgezogen, Pizza essen gegangen und dann ab zum „Moto Club Piovese“. Dort wurden wir sehnlichst erwartet und die italienische Gastfreundschaft wirkte wie ein Schaumbad nach einer anstrengenden Gletschertour. Ausgelassen umarmten sich die beiden Clubs wie Brüder die sich lange nicht gesehen haben. Auf ein inniges Umarmen folgte ein fröhliches „Durcheinandergerede“. Die enorme Sprachbarriere störte niemanden. Man verstand sich halt. Man trank auch viel, unterhielt sich über gute Zeiten (meistens im Zusammenhang mit dem Motorrad) und gab locker flockige Sprüche zum Besten.

Der Ausspruch „Salute el Presidente!“ ließ meine Aufmerksamkeit zu einem älteren Herrn schweifen. Bruno Trabuio, wie er hieß, betrat den Club. Er war nicht nur irgend ein Mann. Ihm gehörte dieser Club. Ihm wurde der Cavaliere-Titel von der höchsten Autorität, nämlich dem Staatspräsidenten persönlich verliehen. Sein Auftritt war atemberaubend. Trotz einer schon fast zierlichen Statur und seinem vom Alter gebleichten Haar umgab sein Wesen eine Aura, die tiefsten Respekt verdiente. Den Respekt, mit dem er jeden mit seinen freundlichen Augen anschaute. In einer selbstverständlichen Ruhe begrüßte er uns herzlich, erzählte uns von seinen Neuigkeiten und befragte uns bedächtig über „Gott und die Welt“. Die bevorstehende Festlichkeit versetzte viele von uns in eine spürbar zufriedene Erwartungsstimmung. Zu guter letzt verabschiedeten wir uns und gingen zum Hotel zurück. Dort angekommen war ein paar von den Jungs, meines Erachtens, noch erstaunlich gut beisammen. Sie ließen den Abend „gediegen“ bei einem Bier in der Hotelbar ausklingen.

Der nächste Tag, ein Samstag, begann mit einem Ausflug zum hiesigen Markt, getoppt von einer angenehmen und vorzüglichen Fischmahlzeit in der nahe gelegenen Küstenstadt „Chioggio“. Zum Glück wurde man nicht selten daran erinnert wie warm es hier doch im Vergleich zur Heimat sei, in der es sogar schneien solle.

Um vier Uhr trafen wir uns bei Timo, einem freundlichen Italiener und bestaunten sein leidenschaftliches Hobby. Er war Motorradliebhaber sondergleichen, was seine selbst restaurierte Moto-Guzzi-Sammlung eindrucksvoll bewies. Selbst Modelle aus den frühen dreißiger Jahren sahen bei ihm so gut wie neu aus. In bedächtiger Ruhe schlenderten alle durch Timo's Fuhrpark.

Im Anschluß trafen wir Mario Dell-Anna in der Pizzeria. Der stellvertretende Vereinsvorstand, unser Freund und Übersetzer, der mit seiner Frau aus Senden nachgereist war. Es hieß, der Brenner sei komplett zu geschneit, was unsereins, da jenseits des Brenners, in wohlige Zufriedenheit wiegte. Mit dieser Zufriedenheit schlief der eine oder andere vielleicht an diesem Abend recht bald ein. Man wollte ja für den nächsten Tag gewappnet sein.

Endlich war es soweit:

Ein sonniger Sonntagmorgen, gefüllt mit einem vollen aber sehr vielversprechenden Tagesprogramm begrüßte uns. Unsere frisch gewaschenen Motorräder, die so stark glänzten, dass bei Sichtung Erblindung nicht völlig auszuschließen war, trugen uns zu dem Platz, auf dem das große Bikertreffen und die Pokalverleihung für die längste Anreise, das älteste bzw. exotischste Motorrad oder den ältesten Fahrer stattfinden würde. Wir waren um neun Uhr fast die Ersten, die dort ankamen. Der lokale Titelverteidiger konnte es sich nicht nehmen lassen, einer der Ersten zu sein. Mit seinem komplett restaurierten Dritte-Reich-Motorrad aus dem Afrika-Corp mit Beiwagen samt Stand-MG und einem original ausgestatteten Feldküchen-Anhänger, brauchte er sich nicht zu verstecken. Unsere Jungs hatten Zeit den sich füllenden Platz zu beobachten und Maschinen zu bestaunen oder kulturellen Austausch zu betreiben.

Man unterhielt sich mit dem Bürgermeister Valerio, der Kulturbeauftragten Rosa Ceola – die vergangenen Donnerstag einen Artikel in der Südwest Presse veröffentlichte –, mit dem hiesigen Polizeipräsidenten, Stadtrat Gelupo und natürlich mit Bruno Trabuio Besonderes Aufsehen erregte Horst Störmer's „Tessera di Socio Ourario“, einem Ehrenmitgliedsausweis, der ihm von der „Federatione Moto Ciclistacia Italiana“, dem italienischen Motorradverband verliehen wurde und fast einem Botschafterstatus gleich kam.

Über eintausend Motorräder waren zum Höhepunkt registriert. Der Platz war dem entsprechend voll. Alles was Rang und Namen hatte war vertreten. Anfangen bei richtig wilden Motorradrockern, wie den Angels, die durch laute Motorradgeräusche, einem wilden Äußeren und einer Biker-Babe-Ausstaffierung auffielen, über Motorradliebhaber, die mit charmanten Klassikern auftrumpften und wild auf die Pokale waren, bis hin zum Ottonormalfahrer, der sich das außergewöhnliche Spektakel nicht entgehen lassen wollte. Und natürlich viele Zuschauer. Nach dreieinhalb Stunden, gegen zwölf Uhr dreißig, fand die Pokalverleihung statt, bei der die „White Heads“ einen Ehrenpokal erhielten.

Hinterher begaben sich rund 150 Motorräder auf einen ca. 20 Kilometer langen Corso, eine einstündige Rundfahrt durch das Umland, bestaunt von vielen Passanten. Im Anschluss kehrten wir mit unserem italienischen Partnerverein in ein Restaurant zum Mittagessen ein. Dort wurden unter den Vereinsvorsitzenden kleinere Präsente und Andenken in Form von Bildern und T-Shirts ausgetauscht. Um siebzehn Uhr war der ganze Trubel wieder vorbei und wir, fertig aber glücklich, in unserem Hotel. Es folgte ein angenehmes Essen mit Bruno in unserer Stammpizzeria in der unser Pokal alsbald als Weingefäß umfunktioniert wurde. Der Tag endete feuchtfröhlich.

Am Montag konnte jeder tun und lassen was er wollte. Euer Erzähler war mit Horst und drei anderen (zum ersten Mal) in Venedig. Den Abschluss bildete ein gemütliches Zusammensein mit unseren italienischen Freunden in deren Clubhaus. Nach einer lebendigen Unterhaltung und Heimvideos von einem Partnerschaftstreffen in Senden zelebrierte man den italienischen Abschiedsritus mit Backentätscheln, Umarmungen, Küsschen und allem was dazu gehört. Richtig locker-flockig südländisch halt.

Die Heimfahrt am Dienstag war trotz einer arktischen Brise in Österreich und Deutschland ein Genuß; verursacht durch den ständigen Sonnenschein, der von dem Schnee an den Straßenrändern reflektiert wurde. Reflektiert wird jetzt auch in Senden, auf welche Weisen man einen Italienischkurs zustande bringt, zum Einreißen der Sprachbarrieren und zum Aufbau einer noch größeren Freunschaft mit ihrer italienischen Partnerstadt „Piove die Sacco“.


Stefan Vogt